Das Leid der Hähne
Hühner, die in Bodenhaltungen leben müssen, sehen in ihrem Leben nie das Tageslicht, fühlen nie die Sonne, Erde unter ihren Füßen oder frische Luft in ihren Lungen. Sie leben vom Tag ihres Schlüpfens bis zum Tag ihrer Schlachtung im Alter von rund 18 Monaten in Gruppen von bis zu 6000 Tieren in geschlossenen, fensterlosen Hallen mit 9 Tieren pro Quadratmeter. Ein Drittel der Stallfläche muss „Bodenfläche“ sein, der Rest besteht aus Gittersystemen, eckigen Sitzstangen aus Metall und Legenestbereichen ohne Nistmaterial und mit Abroll- und Transportautomatik für die Eier. Sie trinken aus Nippeltränken und fressen nichts anderes als immer gleiches hocheiweißreiches Legemehl. Über ein Lichtprogramm steuert die künstliche Beleuchtung den Tag- Nachtrhythmus der Hennen und zwingt den Körper zur Eierlege-Höchstleistung. Jahreszeitenwechseln und kürzer werdende Tage, die den Hennen natürlicherweise eine Legepause und somit Zeit zur Regeneration verschaffen würden, gibt es nicht.
Die Hennen aus diesen Haltungsformen finden wir bei unseren Rettungen in erbärmlichen Zustand vor.
Und leider finden wir bei den Ausstallungen auch immer wieder vereinzelte Hähne in den großen Gruppen.
In Bodenhaltungen werden Hähne nicht zielgerichtet zu den Hennen gesetzt, wie in einigen kleineren Freiland- oder Biohaltungen, wo ihre Warnrufe die Verluste durch Greifvögel reduzieren sollen. In Bodenhaltungen machen Hähne überhaupt keinen Sinn und sind nur deswegen in den Herden, weil sie als Eintagsküken in den Brütereien am Fließband falsch „gesext“, also falsch sortiert wurden, und so mit den weiblichen Küken in die Aufzucht- und wenig später in die Legebetriebe geraten sind. Die männlichen Eintagsküken der Legehuhnrassen werden direkt nach dem Sexen vergast oder bei lebendigem Leibe geschreddert, da sie keine Eier legen, aber aufgrund der Zuchtlinie auch nicht für die rentable Mast geeignet sind. Jährlich werden so allein in Deutschland neben rund 52 Mio weiblichen Legehennen auch ebenso viele männliche Küken „produziert“, die direkt am Tag des Schlüpfens getötet werden.
Einige dieser männlichen Küken geraten also versehentlich in die Legebetriebe und leben dort unter hunderten oder tausenden von Hennen. Wie viele es sind…. Darüber gibt es keine Zahlen. Welche Tortur das Leben unter diesen Bedingungen für sie aber bedeutet, darüber können die elenden Gestalten der Hähne, die das Jahr überleben und die wir in den Betrieben bei unseren Ausstallungen vorfinden, Zeugnis ablegen.
Attila fanden wir 2018 in einer Bodenhaltung als einen von drei überlebenden Hähnen.
Abgemagert und kaum noch fähig zu stehen, wurde er von uns aus dem Stall getragen. Sofort war klar, dass er in diesem Zustand nicht vermittelbar war und somit zunächst in unserer Obhut bleiben würde.
Sein handtellergroßer, angeschwollener, heiß pulsierender Kamm verdeckte seine gesamte linke Kopfseite, war im Knick an der Unterseite und an anderen Stellen verletzt und schwer entzündet.
Sein rechtes Bein war durch einen alten Bruch etwas schief verwachsen und Zehenglieder waren abgerissen.
Sein Körper bestand nur noch aus Haut und Knochen, sein Federkleid war an vielen Stellen zerrupft und zerpickt.
In diesem oder vergleichbarem Zustand finden wir die meisten dieser Hähne vor. Durch das fehlende Sonnenlicht, bei weißen Hähne wohl zusätzlich noch durch angezüchtete Merkmale, und das ausschließliche Fressen des hoch eiweißhaltigen Legemehls, werden die Kämme der Hähne unerträglich groß und schwer, sind für den Kopf und Nacken des Tieres kaum noch tragbar, und entzünden sich schmerzhaft und großflächig. Das enorme Gewicht drückt auf die Augenlider und die Augen können oft kaum richtig geöffnet werden. Durch ihr geschlechtsspezifisches, angeborenes Verhalten sind Hähne in einer Gruppe von hunderten oder tausenden von Hennen restlos überfordert, setzen sich nicht gegen Attacken der Hennen zur Wehr, lassen sich bepicken und resignieren. Wenn sie dann noch nicht mehr richtig sehen können und durch Verletzungen und Entzündungen geschwächt sind, gehen sie gänzlich unter. In den großen Gruppen unter den Bedingungen der industriellen Legehennenhaltung ist es nicht möglich, eine soziale Rangordnung herzustellen – welche für das Wesen des Huhns als soziales Herdentier von existentieller Bedeutung ist!! Hühner würden wesensgerecht in Herden von 4- 20 weiblichen Tieren und einem Hahn mit einer streng geordneten Hackordnung zusammenleben. Diese Ordnung regelt das friedliche Zusammenleben und gibt ihnen Sicherheit. Sobald ein neues Tier in eine Herde kommt, wird durch Rangkämpfe der Platz in der Hackordnung geklärt und anschließend herrscht wieder Frieden. Der Hahn umsorgt seine Hennen, sucht ihnen Futter, schützt sie vor Beutegreifern und greift bei Streitereien unter seinen Hennen schlichtend ein. Wenn nun aber hunderte oder tausende von Hühnern auf engstem Raum zusammengepfercht werden, kann keinerlei soziale Ordnung hergestellt werden. Sie leben auf engstem Raum unter tausenden von „Fremden“, befinden sich dauerhaft im sozialen Stress und müssen sich ständig gegeneinander behaupten oder vor anderen wegducken, da es keine Rangordnung geben kann. Die Hähne setzen sich unter diesen Bedingungen offensichtlich am allerwenigsten zur Wehr. Ihr Leid ist ebenso wie ihre Anzahl oder überhaupt ihre Existenz völlig undokumentiert und großen Teilen der Gesellschaft sicherlich völlig unbekannt.
Wir finden bei unseren Rettungen nicht in allen Bodenhaltungsbetrieben Hähne vor…. Sicherlich gibt es sie aber in allen. Vielleicht sterben die meisten schon vor Ablauf des Jahres, vielleicht werden sie auch von vielen Betreibern getötet, wenn sie entdeckt werden, da sie ja nutzlose Futterfresser sind…
Wir möchten am Beispiel von Attila, Manitu, Eduard, Sir Henry und Hans auf sie aufmerksam machen (siehe unten). Auf das Leid dieser ungesehenen Tiere, die im tierausbeutenden System unserer Lebensmittelindustrie leben und sterben und denen niemand eine Träne oder auch nur einen Gedanken schenken kann, da schlichtweg niemand von ihnen weiß.
Viele Menschen empören sich mittlerweile glücklicherweise über das sinnlose Töten der männlichen Eintagsküken (leider führt diese Empörung nicht wirklich einschneidend zu Reduzierungen im Konsum von Eiern und Eiprodukten…), denn es ist grausam und lebensverachtend -ohne Frage.
Einem männlichen Küken, das dieser Tötung durch das falsche Sexen entgeht, ebenso wie einem weiblichen Küken, das für den Menschen ausnutzbar und geplant in die Legebetriebe kommt, stehen 18 Monate „Existenz“zeit unter qualvollsten Bedingungen (Zeit die das Wort „Leben“ nicht verdient) und ein anschließender grausamer Transport und Tod im Schlachthaus bevor -auch das ist grausam und lebensverachtend- und auch das sollte jeder Mensch in unserer Gesellschaft wissen!
Attila, aus Bodenhaltung, gerettet im April 2018
Unseren Attila nahm unsere Gaby aus Northeim zu sich und schenkte ihm - neben tierärztlicher Versorgung - liebevollste Pflege.
Völlig erschöpft und am Ende seiner Kraft, konnte er zunächst kaum noch laufen und fressen. Die Entzündung des Kammes ging unter Behandlung langsam zurück, dennoch blieb der Kamm eine schwer erträgliche Last und behinderte seine Bewegungsabläufe massiv.
Nachdem er sich ausreichend erholt hatte und sein Zustand eine Operation zuließ, ließen wir ihn daher durch eine Amputation von dieser Last befreien und sind sehr glücklich, dass die Operation gut gelang und Attila noch am selben Tag wieder nach Hause zu Gaby durfte. Dort blühte er sichtlich auf und genießt sein Leben nun in vollen Zügen.
Der amputierte Kamm wog nach der OP 110g. In entzündetem, angeschwollenem Zustand nach der Rettung wird er sicherlich mindestens 150g gewogen haben. Attila selbst wog 1,5 kg, als wir ihn aus dem Betrieb holten. Somit wog die Last auf seinem Kopf mindestens 10% seines Körpergewichts...
Manitu, aus Bodenhaltung, gerettet im Dezember 2016
Auch bei Manitu wurde erfolgreich eine Amputation des Kammes durchgeführt. Und auch „Manitu“ brachte dieser Eingriff einen riesengroßen Zugewinn an Lebensqualität, wie uns die Adoptantin Janina berichtet, bei der er heute glücklich lebt.
Eduard, aus Freilandhaltung, gerettet im April 2018
Aus einem kleinen Freilandbetrieb in Nrw mit „nur“ knapp 300 Hennen holten wir im Frühjahr 2018 Eduard: Eine armselige Gestalt, völlig verstört, erschöpft, mit Problemen an Schnabel und Füßen. Im neuen Zuhause ging er erst einmal auf Abstand zu den Hennen und brauchte Zeit, um sich endlich in Ruhe und Frieden von den Torturen zu erholen und neue Kraft zu schöpfen.
Hans, aus Freilandhaltung, gerettet im Juli 2016
Auch Hans übernahmen wir in traurigem Zustand aus einem Freilandhaltungsbetrieb. Es rührte uns und seine neuen Besitzer, wie lieb er sich trotz seiner eigenen Schwäche um die ebenfalls geschwächten Hennen sorgte.
Sir Henry, aus Bodenhaltung, gerettet im Dezember 2016
Sir Henry holten wir aus einer Bodenhaltung -mit entzündetem Kamm und entzündeten Augen, Wasseransammlungen in den Lungen und bis auf die Knochen abgemagert. Sir Henry war traumatisiert, kauerte sich bei Anwesenheit von Menschen zitternd auf den Boden und brauchte 6 Wochen, ehe er es wagte, seinen Hennen aus dem Stall zu folgen. Erstes hahntypisches Verhalten und Gefiederpflege zeigte er erst nach über 2 Monaten.
Leider ließ sein Gesundheitszustand eine Operation zur Verkleinerung des Kammes nicht zu. Ihm blieben nur 6 Monate Lebenszeit nach seiner Rettung und seine Besitzerin musste ihn aufgrund der zunehmenden Atemprobleme erlösen lassen.