Nummer 974 - Sieben Tage Leben
„Aber wenigstens ein einziges Mal im Leben muss ein Hühnchen Gras, Luft und Sonne spüren. Mit Knuds Mütze, damit sie nicht friert. Wir haben sie heute das erste Mal,
wenigstens ein einziges Mal, nach draussen gesetzt. Sie hat mit Lebensfreude Gras gepickt und dabei so süße Geräusche gemacht.“
So schrieb uns Dani heute Nachmittag über die Nummer 974...
Heute Abend, gerade jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, müssen Dani und Knud sie gehen lassen, müssen sich verabschieden von ihr und sie auf ihre Reise über
den Regenbogen schicken -dorthin, wo -so stellen wir es uns vor, um all das überhaupt ertragen zu können- jeder Schmerz und alles, was ihr angetan wurde, vergessen ist, dorthin, wo es nur Sonne,
Freiheit und Liebe für sie gibt.
Vor einer Woche holten wir die 974 gemeinsam mit 9 weiteren aussortierten Hennen aus dem Betrieb ab. Sie war fast zu Tode erschöpft, hatte eine Fraktur des rechten
Knies und auf dem Rücken eine handtellergroße, tiefe, infizierte Wunde. Der linke Oberschenkel war verletzt und der Muskel fast nicht mehr vorhanden. Sie war unfähig zu stehen, konnte nicht mehr
alleine fressen und trinken.
7 Tage blieben ihr, in denen sie Liebe erfuhr und Menschen kennenlernte, die um ihr kleines Leben kämpften, sich um sie sorgten und ihr zeigten, dass ihr Leben
Bedeutung hat und wertvoll ist.
Nach 7 Tagen mussten Dani und Knud gemeinsam mit der Tierärztin entscheiden, sie gehen zu lassen. Die Wunde war zu groß und tief, nach innen infiziert und der
Bauchraum bereits angegriffen. Der Erfolg einer OP der Kniefraktur war fraglich und der Muskel des anderen Beins zu stark verletzt, als dass sie darauf würde stehen können…
Flieg nun, kleine 974, fliege, sei frei und ohne Schmerzen, grüße deine vielen lieben Schwestern, die schon wie du durch unsere Hände gegangen sind und verzeihe uns
Menschen nicht, denn was wir euch auf unserer Erde tun, ist nicht zu verzeihen – auch nicht hinter dem Regenbogen…
Die 974 war die 974.Henne, die wir in den vergangenen 2 Jahren aus einem Bodenhaltungsbetrieb in Norddeutschland als verletzten „Ausschuss“ schon vor Ablauf ihrer
eigentlichen „Nutzungszeit“ abholen konnten.
125.000 Hennen leben hier. 12 Monate lang, ohne Tageslicht, in grausamer Enge, in Gestank, Dreck, Staub und Drangsal, auf Gittern und Metallstangen, eingezwängt und versklavt in einem
industrialisierten System, ohne jegliche Möglichkeit, sich ihren Bedürfnissen entsprechend zu verhalten oder zu beschäftigen.
Die einzige Daseinsberechtigung, die der Mensch diesen Tieren zuspricht, sind die Eier, die sie legen. Nach 12 Monaten endet die Nutzung, die höchste Rentabilität ist
ausgeschöpft, die Tiere werden getötet und neue Junghennen in diesen Kreislauf der Tierausbeutung gezwungen.
Tiere, die in diesen 12 Monaten im Betrieb krank werden, die in Gittern, den automatisch hoch- und runterfahrenden Legenestern oder den Kotförderbändern hängen bleiben
und sich die Beine brechen, Zehen abreißen oder tiefe Schürfwunden zuziehen, die von anderen verzweifelten Hennen durch Kannibalismus verwundet und zerpickt werden, die zu schwach oder verängstigt
sind, um die Nippeltränken oder Futterbänder zu erreichen und langsam verhungern und verdursten, die von den obersten Etagen herunterfallen oder springen und sich Wirbelsäule, Flügel oder Beine
verletzen, die an Legenot, Legedarmentzündungen, Schichteiern, Bauchdeckenbrüchen oder Bauchfellentzündungen leiden, die durch gerissene, vorgefallene, entzündete und blutig gepickte Kloake täglich
ein neues Ei pressen müssen, erfahren in den Betrieben keinerlei Hilfe.
Es gibt keine tierärztliche Versorgung für einzelne Individuen, nicht einmal eine Notversorgung durch die Beschäftigten eines solchen Betriebs. Offensichtlich
verletzte oder schon fast tote Tiere werden bestenfalls herausgesammelt und getötet. Viele von ihnen bleiben einfach liegen und werden von ihren verzweifelten Artgenossinnen zerrissen, zerpickt,
gefressen. Davon zeugen ihre traurigen Überreste, Knochen, Flügel, verweste Reste, die erst nach dem Abtransport der Tiere zum Schlachter im leeren Stall zum Vorschein kommen.
So ist es. In jedem Legehennenbetrieb, in jeder Haltungsform. Ganz gleich, ob Bodenhaltung, Freilandhaltung oder Biohaltung. Geld kann auf dem Rücken – nein, auf dem
gesamten Leben und den Seelen dieser Tiere- nur verdient werden, wenn jedes einzelne Tier wie ein wertloser Wegwerfartikel behandelt wird. Verlustraten sind von vornherein einkalkuliert, Extrakosten
für einzelne Tiere ausgeschlossen.
Durch großes Glück und Zufall konnten wir im Februar 2019 Mitarbeitende und Leitung eines Bodenhaltungsbetriebs mit 125.000 Hennen überzeugen, uns solche aussortierten
Tiere, die normalerweise in den Kadavertonnen landen würden, zu übergeben. Anfangs lief diese Junghennen-Rettungsschleuse noch verhalten, nur selten rief uns der Betrieb an und übergab uns einige
verletzte Tiere.
Doch mit den Monaten wuchs das Vertrauen, die Gewohnheit und auch das „Gefühl“ der
Mitarbeitenden und so erhalten wir mittlerweile fast täglich eine Meldung aus dem Betrieb und holen monatlich um die 80 Hennen von dort ab.
Im April 2021 zum Beispiel war unsere Bilanz:
2 Hennen mit Kopfverletzungen (Pickwunden/ Quetschungen)
8 Hennen mit Zerrungen oder alten Brüchen
6 sehr ängstliche, zerpickte Hennen
6 Hennen mit verletzten Kloaken
16 schwache, aber ansonsten fitte Hennen
2 Hennen mit Ballenabszessen
1 Henne mit beidseitigen Beinbrüchen
8 sehr schwache, dehydrierte Hennen
10 Hennen mit Beinfrakturen (OP)
2 Hennen mit Trümmerfrakturen (Bein, OP)
1 unterentwickelte Henne mit entzündeten Gelenken
10 Zwitter
7 Hennen mit Kannibalismuswunden
3 Hennen mit Wirbelsäulentrauma
3 Hennen mit Schichteiern o. ä. Umfangsvermehrung im Abdomen (OP)
2 Hennen euthanasiert ( Schichtei/ Aszites, extreme Schwäche)
6 sehr schwache, dehydrierte Hennen verstorben
2 Hennen mit Schichtei verstorben
Wie viele Tiere trotzdem noch täglich in den Tonnen landen, weil sie nur noch tot
gefunden werden, wissen wir nicht- und erfragen wir auch nicht. Das Herz ist uns schon schwer genug.
Was diesen Tieren (allein in Deutschland leben über 50 Millionen Legehennen in industrialisierten Legehennenbetrieben) angetan wird, ist unvorstellbar
grausam.
Was der Mensch tut, ist brutal, monströs und durch NICHTS zu rechtfertigen!
NIEMAND in unserer Gesellschaft muss Eier essen, NIEMAND in unserer Gesellschaft muss sein Geld mit oder in der tierausbeutenden Wirtschaft
verdienen.
JEDER VON UNS HAT EINE WAHL!
Und auch, wenn es Schwierigkeiten, Unannehmlichkeiten, finanzielle Einbußen, Gewohnheitsänderungen oder Anstrengungen mit sich bringt, sich GEGEN die Tierausbeutung
zu entscheiden, so stehen diese Schwierigkeiten, Einbußen, Änderungen und Anstrengungen doch in KEINERLEI rechtfertigendem Verhältnis zu dem Unrecht und Leid, das den Tieren angetan wird oder
verhindert werden könnte!
So ist es doch einfach!
Oder wer möchte der Nummer 974 in die Augen sehen und sagen, dass das Ei, das er heute in seine Pfanne geschlagen oder in seinen Kuchenteig gerührt hat, ihr Leid
wert war?
Wer möchte sie im Arm halten und ihre leises vertrauensvolles Stimmchen hören, während die Tierärztin die Euthanasie einleitet, und ihr sagen, dass die Arbeitsplätze
und die Bilanzen der Firma ihr gestohlenes Leben und ihr Sterben wert sind?
Die Junghennenrettung ist für unseren Verein eine enorme finanzielle Belastung. Fast jedes der Tiere benötigt -oft intensive- tierärztliche Behandlung, viele Tiere
müssen operiert werden. Für unsere Teammitglieder und Helfer*innen bedeutet die Rettungsschleuse eine unvorstellbare seelische Belastung und extreme Kraftanstrengung. Sie haben so gut wie ihr
gesamtes Privatleben auf die Rettung und Pflege dieser Tiere eingestellt, fahren fast täglich zu den Ställen, holen die Tiere ab, bringen sie zu Tierärzt*innen, versorgen, pflegen, bangen, päppeln
und müssen so oft Abschied nehmen.
Aber natürlich können sie sich auch freuen über die vielen, die es schaffen!
990 Tiere konnten wir seit Februar 2019 allein aus dem Betrieb abholen, aus dem die kleine 947 kam. 198 von ihnen mussten wir aufgrund ihrer schweren Verletzungen
erlösen lassen oder sie starben schon kurz nach der Rettung.
792 leben! Sie sind heute gesund, manche von ihnen zwar gehandicapt, aber durchaus zu einem genussvollen, fröhlichen und zufrieden Leben fähig. Sie kennen die Sonne,
Erde, Gras und Luft und ihnen bleiben mehr als nur 7 Tage!
Sie sind Tiere, deren Zurkenntnisnahme durch die Verbraucher*innen von der Legehennenindustrie nicht vorgesehen ist.
Sie sind Tiere, die hinter verschlossenen Türen und den fensterlosen Mauern der Betriebe und Schlachthöfe leiden und sterben sollten, und die durch großes
Glück nun hier im Licht und im Leben sind!
Und wir wünschen uns, dass sie vielen Menschen die Augen öffnen und zum Umdenken bewegen!
Bitte helft uns, die Rettungsschleusen für die Junghennen aufrecht zu erhalten und auch die nächsten Tiere mit allem, was nötig ist,
versorgen zu können.
Helft uns, sie fühlen zu lassen, dass ihr Leben wertvoll ist, dass sie nicht mehr
allein sind, dass ihre Schmerzen nun gelindert werden und dass alles getan wird,
um ihnen zu helfen.
Durch eine Junghennenpatenschaft könnt ihr unsere Rettungsschleusen dauerhaft finanziell absichern und erhaltet als Pat*innen regelmäßig
kleine Berichte
über das aktuelle Geschehen.
Monatliche Patenschaftsbeiträge sind ab 5 € möglich.
Auch Einmalspenden auf unser Spendenkonto oder via Paypal sind natürlich möglich und helfen uns
weiter.